Das Rockendirndl vom Tegernsee

Das Rockendirndl vom Tegernsee Sage

Dort, an der schmälsten Stelle des Tegernsees - der große Weitsee und der kleine Egerner Winkel stoßen hier zusammen - geht seit Urzeiten eine Fähre hin und her. Ein großes flaches Holzboot wird gerudert von einem kräftigen und wetterharten Mannsbild, dem Oberführer.

Vor vielen hundert Jahren war im Gasthof zur Überfahrt in Egern eine große Bauernhochzeit. Der schneidigste Tänzer war der Uberführer Marti mit seinem frischen, bildsauberen Dirndl, der Mariedl. Sie war eine Klosterjagerstochter von Tegernsee drüben. Aber zum Heiraten hat's ihnen hint und vorn nicht gereicht mit Geld und Gut.

Es ging schon dem Abend zu und grad lustig ist's zugegangen auf dem Tanzboden. Da zog aber ganz jählings ein scharfes Gewitter auf im Westen drüben bei Abwinkel und kam mit stürmischen Wellen rasch über den See herüber. Dazu hörte man von drüben auf der Tegernseer Seite laut eine Frauenstimme rufen: "Hol über, überführn!" Da nimmt der Marti seinen Kotzen (das ist ein kräftiger Lodenmantel) und will an den See hinunter. Mariedl und alle anderen flehten ihn an:

"Bleib doch da, bei so einem Unwetter verlangt kein Mensch, daß du auf den See hinausfahrst!" Der Marti aber rief nur: "Es ist meine Pflicht; ein Überführer darf nicht windfeiern!" Schon hat er vom Ufer abgestoßen, und sein schwerer Kahn wird von mächtigen Schaumwellen hoch aufgehoben, um im nächsten Augenblick wieder in tiefen Wellentälern zu verschwinden.

So schwer wie diesmal ist er noch niemals über den See gekommen. Wie er drüben auf der Point am Bootssteg anlegt, sieht er im grellen Schein eines Blitzes ein schiaches (also häßliches), altes Weib stehen. Marti erschrickt nicht wenig, als er sie erkennt: es ist leibhaftig die Wallberghexe.

Jetzt steigt sie ein und setzt sich ihm nahe gegenüber. "Weil du ein so rechtschaffener, starker und schneidiger Bursch bist - denn nur einen solchen kann ich brauchen - will ich dich was fragen: Willst du einem armen, unglücklichen Dirndl helfen und es aus seiner Not befreien?" "Ja, wenn ich's kann, gerne" sagt der Oberführer. "Gut, ich nehm dich beim Wort!" erwiderte darauf die Hexe.
Da legt sich augenblicklich der Sturm, die vermeintliche alte Hexe verwandelt sich in eine wunderschöne Wasserjungfrau. Die sagt nun: "Das arme Madl ist das Rockadirl (=Rockendirndl). Das junge und lebenslustige Kind sollte einstmals von seinen Eltern ins Kloster geschickt werden, als Sühne für eine Freveltat, die in der Familie einmal begangen wurde. Als man ihr die langen, blonden Zöpfe abschneiden wollte, ist sie in ihrer Verzweiflung lieber in den See gegangen. Da sitzt sie nun an einem Spinnrocken und muß Flachs spinnen. Sie darf erst wieder herauf, wenn ein ehrlicher und mutiger Jüngling es wagt, sie zu erlösen. Auf einmal versinkt das große Überführerschiff mitten im See bis hinunter auf den Grund. "Steig jetzt aus und komm mit mir durch die große Felsenschlucht, nimm aber dein Ruder mit!"

Da züngeln von allen Seiten Schlangen, giftiges Gewürm und Geziefer aller Arten aus den Spalten auf ihn los. Marti haut sie mit dem Ruder zurück in ihre Löcher. Die Schlucht wird immer enger, scharfe Steinspitzen ragen von den Wänden, ein gewaltiger Wasserstrudel will ihn umreißen und gegen die gefährlichen Kanten und Scherben werfen. Marti fetzt mit dem Ruder drein und haut den Strudel auseinander.

Jetzt steht er vor einer düsteren Höhle. Wüstes Gröhlen und versoffenes Geschrei dringt daraus hervor. Wilde Gesellen mit zottigen Barten wie Seeräuber wollen den Burschen zu sich hereinziehen und haben ihn schon am Mantelzipfel gepackt. Aber der Überführer schlägt so wild um sich, daß sie gerne von ihm ablassen.

Endlich stehen sie auf einer großen, freien Wiese. Gegenüber ist eine breite Felsenwand mit einem verschlossenen Tor. Die Wasserjungfrau sagt: "Klopf nur fest an, dann geht das Tor schon auf!" Dreimal muß der Marti mit aller Wucht hinhauen, bis es aufspringt. Aber ein greuliches Untier, halb Fisch, halb Drachen oder Schlange kommt hervor und schnappt nach ihm. Diesmal haut er aber mit äußerster Kraft mit dem Ruder drauf, bis das gefährliche Vieh in sich zusammensinkt und den Weg frei macht.

Ein heller Saal liegt vor ihm, das gleißende Licht blendet fast die Augen. Da sitzt nun ein blasses, blondes Mädchen von großer Schönheit am Spinnrocken mit blutigen Fingern und schaut den Burschen mit traurigen Augen an. Der aber stößt das ganze Spinnradi mit seinem Ruder um und haut es in Trümmer.

Da werden ihre Wangen wieder rot und mit dankbaren Blicken sieht sie den Burschen, der sie erlöst hat, an. Die freundliche Wasserjungfrau aber, die gar keine Hexe war, sagte:"Marti, drei Wünsche, wenn du solche hast, darfst du aussprechen, sie werden in Erfüllung gehen." "Ja, solche hätte ich schon," sagte Marti: "Daß ich meine Braut, die Mariedl bald heiraten kann, daß wir zeitlebens recht gesund bleiben, daß wir uns ein Häusl bauen können."

Das befreite Rockadirl brachte ihm ein Sackl voll goldener Dukaten und gab sie ihm in die Hand. - Da saß der junge Überführer, wie wenn nichts geschehen wäre, wieder in seinem Schiff und ruderte es zurück ans Egerner Ufer. Aber von dem Geld, das er mitbrachte, erwarb er sich ein kleines Grundstück am See. Bald darauf erbaute sich Marti ein sauberes, schmuckes Wohnhaus. Die Hochzeit mit seiner Braut wurde im Gasthaus zur Überfahrt gehalten. Leute von nah und fern kamen als Gäste oder zum Schauen zusammen. Als der Ehrvater die Gaben der Geladenen beim sog. Abdanken entgegennahm, erschien auf einmal eine seltsame, schöne und lichte Gestalt, die niemand erkannte, nur der Hochzeiter. Sie legte dem jungen Paar noch mal ein ansehnliches Geldgeschenk auf den Tisch und verschwand. Es war das Rockadirl.

Über den Autor*Innen

Jörg Bornmann

Als ich im April 2006 mit Wanderfreak an den Start ging, dachte noch keiner an Blogs. Viele schüttelten nur ungläubig den Kopf, als ich Ihnen von meinem Traum erzählte ein reines Online-Wandermagazin auf den Markt zu bringen, welches eine hohe journalistische Qualität aufweisen kann, eine Qualität, die man bisher nur im Printbereich kannte. Mir war dabei bewusst, dass ich Reisejournalisten und Spezialisten finden musste, die an meine Idee glaubten und ich fand sie.