Kanadas Ruf der Prärie in Manitoba

Kanadas Ruf der Prärie in Manitoba - Lake Audy-Bisons - (c) Jörg Berghoff

In der geographischen Mitte Kanadas ist die Provinz Manitoba ein wahrer Naturschatz und noch immer ein Geheimtipp für Besucher aus Europa, die unberührte Natur und die Kultur der First Nations kennen lernen wollen. Die windgepeitschte Tundra im Norden mit ihren Eisbären, Belugawalen und atemberaubenden Nordlichtern lockt Besucher nach Churchill. Und die stillen Wasser der vielen Seen Manitobas sind tief: Je mehr man sich auf die Provinz einlässt, je intensiver man sie erkundet und ihren Geschichten lauscht, desto mehr zieht sie jeden in ihren Bann. Während Manitobas Tierwelt, die einzigartigen Landschaften und die prähistorische Geschichte spannende Fakten liefern, begeistern die indigenen Geschichtenerzähler Manitobas bei unterschiedlichen Aktivitäten mit authentischen Erzählungen über ihre Kultur und ihre besondere Beziehung zur Erde und ihrem Schutz. Hier hört man ihn, den Ruf aus Kanadas Mitte.

Manitobas boreale Wälder sind 570.000 Quadratkilometer groß, das ist größer als die Fläche Frankreichs. Sie machen insgesamt 10 Prozent der gesamten borealen Wälder Kanadas aus. Manitoba liegt im Zentrum des Wassereinzugsgebiets der Hudson Bay, das sich vom Nelson River Richtung Westen in die Berge, südlich in die Vereinigten Staaten und östlich nach Ontario erstreckt. Und die Provinz ist gar nicht so flach, wie die meisten denken. Hier gibt es zwei Höhenzüge, die durch den prähistorischen Lake Agassiz entstanden sind: das Pembina Escarpment, das sich von South Dakota nach Manitoba erstreckt und die Westwand des Red River Valley bildet. Das Manitoba Escarpment, auch Western Manitoba Uplands genannt, sind eine Hügelkette entlang der Grenze zwischen Saskatchewan und Manitoba. Die östlichen Hänge sind Steilhänge, die durch Gletscherspülung geschaffen wurden und das Westufer des Agassiz-Sees bildeten. Sie sind rund 120 Meter tief und ein ideales Wanderrevier in den Schluchten und an den Hängen der Hügelkette. Vor 12.000 Jahren, am Ende der letzten Eiszeit, erstreckte sich der prähistorische Süßwassersee Lake Agassiz über eine riesige Fläche im zentralen Nordamerika, darunter der heutige Süden Manitobas, der Nordwesten Ontarios, Teile vom Osten Saskatchewans, North Dakota sowie der Nordwesten Minnesotas. In seiner größten Ausdehnung war der Lake Agassiz größer als die Gesamtfläche der heutigen Großen Seen.

Von stillen Momenten beim Perlensticken bis hin zu Abenteuern in der subarktischen Landschaft, bei diesen Outdoor-Erlebnissen erwecken Manitobas Geschichtenerzähler der First Nations, aber auch die Natur- und Nationalpark-Ranger auf Wandertouren durch die unberührte Wildnis indigene Geschichte und Traditionen zum Leben und sorgen damit für eine ganz besondere Art von Reiseerfahrung. Die indigenen Völker haben die eindrucksvolle Fähigkeit, das Wissen rund um ihre Kultur beim Erzählen von Geschichten, dem sogenannten Storytelling, weiterzugeben. Geschieht das unmittelbar in der Natur, werden die Sinne geweckt und das Verständnis für die Zusammenhänge auf unserer Erde vertieft. Der Riding Mountain National Park ist Heimat einer stattlichen Herde von 40 Präriebisons. Die Bisons, die in einem 500 Hektar großen Gehege umherstreifen, sind Nachkommen einer kleinen Gruppe, die in den 1940er Jahren aus dem Elk Island National Park eingeführt wurde, um die seinerzeit stark dezimierte Art zu erhalten.

Man muss früh aufstehen, aber der Weg zum Lake Audy lohnt sich. Noch bevor die Sonne hoch am Himmel steht, grast die Bison-Herde friedlich im Morgentau. Manchmal kann man hier auch Schwarzbären, Elche und Luchse erspähen. Mit Aaron McKays Geschichten über die großen Bison-Herden, ihre Bedeutung für das Leben der First Nations und die beinahe vollständige Ausrottung der Bisons und damit die Vertreibung der Stämme aus ihren Gebieten durch die Einwanderer und Pelzjäger entsteht ein bewegendes Bild der Landschaft, der Tiere und der Menschen. Insgesamt sieben First Nation Communities leben heute rund um den Riding Mountain National Park. Sie arbeiten heute mit der Parkverwaltung zusammen, um gemeinsam die Natur zu schützen und den indigenen Tourismus zu fördern. Mit Projekten wie dieser geführten Wanderung zu den Bisons vermitteln sie authentische Einblicke in ihre Kultur und bewahren ihre Traditionen. Auch Ashley Smith, die zur First Nation Gambler Community gehört, trägt in ihrem Turtle Village bei Wasagambing am Clear Lake dazu bei, dass die Camper in ihren kleinen Hütten so nah wie möglich mit dem Leben in den Wäldern in Berührung kommen. Das gilt auch für eine rund sechs Kilometer lange Wanderung durch Gorge Creek Trail, der einen mittleren Schwierigkeitsgrad besitzt und der an den Hängen der Schlucht und durch das Tal führt. Den kleinen Pfad sollte man achtsam begehen, denn nicht selten kreuzt ein Schwarzbär den Weg. Die in der Regel friedlichen Tiere verschwinden sofort im Gebüsch, wenn sie Menschen wittern, Vorsicht ist trotzdem geboten, denn es sind und bleiben Raubtiere. Auch vor dem hier am Wegesrand weit verbreiteten Giftsumach (Poison Ivy) sollte man sich in Acht nehmen, er kann schwere Hautreizungen hervorrufen. All das schmälert aber keineswegs die großartige Naturerfahrung und die grandiosen Aussichten auf die hügelige Schluchten- und Waldlandschaft, die Stille in der Natur und die Demut fördernde Gewissheit, dass das alte, wertvolle Wissen der First Nations in den Natur- und Nationalparks hier in Manitoba erhalten bleibt.

Weitere Informationen finden Sie hier www.travelmanitoba.com und https://parks.canada.ca

Über den Autor*Innen

Jörg Berghoff

Jörg Berghoff

Jörg Berghoff, geboren in Erbach im Rheingau, studierte Kunstgeschichte und Ethnologie, ist Winzermeister und Verlagsbuchhändler. Als freier Autor und Journalist führt er seit 1998 ein Pressebüro für Tourismus, Kultur und Sport. Als Reisejournalist ist er spezialisiert auf Irland und Großbritannien sowie weitere europäische Naturreise-Destinationen.