Mit dem Stromradl durch den Chiemgau

Chiemsee Rückenwind E-Räder Radlspass

Fahrradfahren mit Rückenwind – Ich muss sagen, ich war sehr skeptisch, braucht´s das wirklich, eine Unterstützung beim Radeln durch einen Elektromotor? Im letzten Herbst schwärmte mir ein Freund davon vor und sagte: „Stromgitarre findest Du doch auch gut und unplugged geht es trotzdem.“ Als ich im Mai die Möglichkeit bekam, die Stromradl der Firma „additive bikes“ bei einer Radltour durch den Chiemgau zu testen, kamen mir diese Worte in den Sinn und ich nahm die Möglichkeit wahr.

E-Bike oder Pedelec, wie die Stromradl richtig heißen, sind erst seit wenigen Jahren auf dem Markt. Lange mussten sie gegen Vorbehalte kämpfen. Radlfahrer gehen davon aus, dass sie diese Unterstützung nicht brauchen, für Mitmenschen, die lange kein Fahrrad benutzt haben ist trotzdem eine gewisse Hemmschwelle da, wieder mit dem radeln anzufangen. Beiden Gruppen kann ich nach den Erfahrungen im Chiemgau nur soviel sagen, versucht es, ihr werdet begeistert sein.

Seit inzwischen zwei Jahren bauen der Chiemgau Tourismus e.V. und der regionale Bikehersteller „aditive bikes“ ein Radlverleihnetz im Chiemgau auf. Mit inzwischen über 20 Verleih- und Ladestationen (Übersicht) kann man sich mit den Fahrrädern in der ganzen Region unbeschwert bewegen und die wundervolle Natur und kulturellen Kleinode des Chiemgaus auf sich wirken lassen. Rückenwind ist der zutreffende Name des Projekts, denn dieser Rückenwind ist zuschaltbar und man schafft hiermit in einer urkatholischen Gegend ein wenig Unabhängigkeit von Petrus. 2011 zeichnete der ADAC dieses Projekt mit dem Tourismuspreis Bayern aus.

Unsere Tour führt uns über einen Teil des Benedikt-Radwegs vom Waginger See über verschiedene Zwischenstationen ca. 35 km zum Kloster Seeon. Unsere 15köpfige Gruppe ist bunt gemischt, einige wandern regelmäßig mit dem Fahrrad, andere eher selten. Doch nur wenige haben bereits Erfahrung mit Pedelecs gemacht. Gut so, denn damit kann ich während der Radltour auch Meinungen anderer E-Bikeeinsteiger einholen. Nach einer kurzen Einweisung durch den Chef der Firma „additive bikes“, Franz Mayer, geht es los. Vom Waginger See zur Wallfahrtskirche Maria Mühlberg gilt es die erste Steigung zu meistern und bereits hier sehe ich die ersten positiv überraschten Gesichter meiner Mitstreiter. Nach einer Besichtigung der Kirche geht es zunächst auf dem gleichen Weg ein Stück zurück und spätestens jetzt merkt jeder, mit Hilfe des Antriebs hat man noch mehr Muse die wunderschöne Landschaft, mit dem Blick über Waginger- und Tachinger See, zu genießen.

Es geht weiter zur nächsten Station, zur ehemaligen Wall-fahrtskirche St. Leonhard am Wonneberg und über den Köpfelsberg. Hier genießen wir den Blick auf Berchtes-gadener und Chiemgauer Alpen, die sich an diesem sonnigen Tag im dunstigen Hintergrund abzeichnen. Über Unterwendling, Oberwendling, Egersdach und Selberting erreichen wir Hufschlag. Hier ist Papst Benedikt XVI aufgewachsen und so stehen wir vor dem ehemaligen Wohnhaus der Familie Ratzinger und schicken ein paar Gedanken nach Rom zum immer noch sehr heimatver-bundenen Papst Benedikt. Manche Mitradler fragen sich insgeheim, ob es ihm denn auch so viel Spaß machen würde, auf dem nach ihm benannten Fahrradweg mit einem Pedelec durch den Chiemgau zu radeln? Ich bin mir sicher.

Schon kündigt sich Traunstein an und wir freuen uns auf die verdiente Brotzeit und eine Halbe Bier Vorher jedoch machen wir noch einen Abstecher zum Ettendorfer Kircherl, dieses liegt am ehemaligen Schulweg der Gebrüder Ratzinger. Von hier aus hat man einen wunderschönen Blick auf die beiden „Dachterrassen“ des Chiemgaus, Hochfelln und Hochgern. Doch uns zieht es zur Dachterrasse des Gasthofs „Schmitzelbaumer“, hier werden wir für den ersten Teil der Radltour genussvoll verwöhnt. Es ist Zeit für ein erstes Fazit und wirklich alle sind begeistert von dieser Art zu radeln. Trotz natürlichem Gegenwindes auf einem großen Teil der Tour, sind wir ganz gemütlich dank des eingebauten 250 Watt starken Rückenwindes in Traunstein angekommen.

Nach der Mittagspause schauen wir uns die „Vaterstadt“ Papst Benedikts Traunstein an. So nennt er selbst noch heute die durch Salzhandel im Mittelalter reich gewordene Kreisstadt im Chiemgau. Vor allem der Stadtplatz hat es uns angetan, die restaurierten Bürgerhäuser, das Kopfstein-pflaster, der Jacklturm und die Pfarrkirche St. Oswald bilden ein typisches, gemütliches, bayuwarisches Stadtbild. Passend dazu findet an diesem Tag auch noch der traditionelle Wochenmarkt statt. Gut, dass wir keine Gepäcktaschen an den Fahrrädern haben, sonst hätten die Traunsteiner in dieser Woche wohl nichts mehr auf ihrem eigenen Wochenmarkt kaufen können. Wir schauen uns noch die wunderschöne Pfarrkirche an, in der am 8. Juli 1951 Papst Benedikt mit seinem Bruder Joseph Ratzinger und Dr. Rupert Berger, die Priesterweihe empfangen durfte.

Nach der Stärkung und dem Stadtrundgang geht es weiter in Richtung Chiemsee. Ist es die Brotzeit oder der Gerstensaft, plötzlich werden viele mutig und schalten auf unplugged um. Man will sich wohl beweisen, dass es auch noch ohne elektrische Hilfe geht. Die Fahrräder sind etwas schwerer durch Elektroantrieb und Akku, doch laufen sie genauso leicht wie herkömmliche Fahrräder.

Fast beständig leicht bergab, geht es über Aiging, Nußdorf, Sondermoning und Egerer zum „Bayerischen Meer“, dem Chiemsee. Über Schützing geht es weiter nach Seebruck, wo wir den Chiemsee nach einer kurzen Rast wieder verlassen und Richtung Kloster Seeon fahren. Das ehemalige Benediktinerkloster Seeon liegt auf einer Insel im Seeoner See und bot schon prominenten Gästen wie Wolfgang-Amadeus Mozart und seinem Vater Leopold Unterkunft. Heute befindet sich ein Hotel mit wunderschönen Seminarräumen im Kloster und wir dürfen die Gemütlichkeit des Hauses nach einer wunderschönen E-Biketour genießen.

Beim Abendessen lassen wir die Tour noch einmal revue passieren. Neben den Eindrücken der Landschaft und der kulturellen Bedeutung des Benedikt-Radwegs interessiert mich natürlich der Eindruck meiner Mitstreiter zum Thema E-Bike. Ausnahmslos alle sind begeistert und der Meinung, dass dem E-Bike, dem Pedelec die Zukunft im Bereich des genussvollen Radwanderns gehört. Es hat längst seine Berechtigung neben den traditionellen Trekkingrädern gefunden. Und von ganz vielen war zu hören, dass sie ihren Freunden und Bekannten empfehlen möchten auch einmal einen Tag auf dem Stromradl im Chiemgau zu verbringen, denn unplugged geht es trotzdem.

Über den Autor*Innen

Jörg Bornmann

Als ich im April 2006 mit Wanderfreak an den Start ging, dachte noch keiner an Blogs. Viele schüttelten nur ungläubig den Kopf, als ich Ihnen von meinem Traum erzählte ein reines Online-Wandermagazin auf den Markt zu bringen, welches eine hohe journalistische Qualität aufweisen kann, eine Qualität, die man bisher nur im Printbereich kannte. Mir war dabei bewusst, dass ich Reisejournalisten und Spezialisten finden musste, die an meine Idee glaubten und ich fand sie.