Piloten schlagen und Schindeln kloben

Ein Vierteljahrhundert echtes Handwerk in Going

Er ist vielseitig und unterhaltsam. Die Gäste lieben ihn, genauso wie die Einheimischen. Beim traditionellen Handwerkskunstmarkt in Going, der in diesem Jahr sein 25-jähriges Jubiläum feiert, machen die Besucher eine Zeitreise mit vielen eindrucksvollen Begegnungen. Alte Fertigkeiten wie Pilotenschlagen, Schindelmachen oder Ranzensticken erfahren dort eine Renaissance. Dazu tischen die Bäuerinnen ihre besten Gerichte auf, die Tanzmusik spielt und es wird ganz entspannt geplaudert.


Mit einem lauten Rumms fällt der schwere Eisenschlägel auf den Holzstamm. Sechs Männer stehen im Kreis, auf einem Podest einen Meter über dem Boden. Sie heben den gut 60 Kilogramm schweren Schlägel hoch und lassen ihn wieder auf den Stamm heruntersausen. Einer spielt dazu auf der Ziehharmonika und singt. Das Pilotenschlagen ist einer der ältesten und zweifellos auch interessantesten Bräuche, die beim Handwerkskunstmarkt in Going zu bestaunen sind. Die Tradition fordert Kraft, wie sie Helmut Huber, der Goinger Tischlermeister hat. Er wischt sich den Schweiß von der Stirn und erzählt: „Früher hat es keinen Beton gegeben, da wurden die Fundamente für Brücken und Uferbauten mit Holzstämmen gemacht und dann in den Boden geschlagen. Genauso wie es in Venedig gemacht wurde.“ Die Musik war nicht nur zur Unterhaltung da. Sie gab den Arbeitern auch den Schlagrhythmus vor. „So wurde bei uns noch bis in die fünfziger Jahre gearbeitet“, ergänzt ein älterer Bauer. Heutzutage macht das ein Bagger, allerdings ohne Musik.

Einfach, schön und funktional

Nicht weit vom Pilotenschlagen spaltet Sepp Lechneraus Kirchberg millimetergenau das Fichtenholz. Im Volksmund heißt das „Schindeln kloben“. Sepp ist einer der Letzten, der diese Kunst beherrscht. Wie schon vor hunderten Jahren ist es auch heute noch üblich, die Dächer von Bauernhäusern und Almhütten mit Holzschindeln zu decken. „Lärchenholz nehmen wir für die Wohnhäuser und Fichtenholz für die Almen und Ställe“, verrät Sepp und zeigt mit wenigen Handgriffen, wie die Schindeln mit flachen Steinbrocken beschwert und mit Haken und quer gelegten Holzstangen fixiert werden. „Aufpassen musst du nicht nur bei Sturm, sondern auch wegen Schnee, weil der die Schindeln runter schieben könnte.“ Mit einfachsten Mitteln ästhetische Lösungen finden – das ist der rote Faden beim Handwerkskunstmarkt. Heute würde man Nachhaltigkeit dazu sagen. Die alten Traditionen werden in Going mit viel Liebe und Leidenschaft gepflegt. Der Handwerkskunstmarkt ist für viele wie ein Feiertag. Sie kommen in Tracht – Frauen in bunten Dirndln, Männer in der traditionellen Lederhose. Knapp 100 Aussteller füllen die Gassen rund um die Kirche und den Musikpavillon, wo die „Hirschenwalder Tanzlmusig“ aufspielt.


Drei Krimis und viel Kletterei

Hier geht es nicht nur ums Verkaufen. Besucher und Aussteller unterhalten sich, tauschen  Geschichten aus und genießen die entspannte Atmosphäre. Bei den Goinger Bäuerinnen kann man sich mit Kasspatzn, Brodakrapfen und Apfelradeln stärken und von der echten Prügeltorte, auch Baumkuchen genannt, kosten. In der Schnapsbrennerei Aggstein gibt es Edelbrände und Liköre, darunter Klassisches wie Obstler und Vogelbeer. Etwas weiter hinten im Eck sitzt Gretl Schramböck aus St. Johann in einem kleinen Holzhaus. Sockenstrickerin nennt sie sich und zeigt mit flinken Fingern, wie sie aus dem Wollfaden schöne bunte Socken und Mützen entstehen lässt. „Die jungen Leute stehen ja ganz besonders drauf“, sagt sie und schmunzelt. „Sogar im Sommer, wenn es richtig warm ist, laufen sie mit den Mützen rum.“ Das beschert ihr reichlich Beschäftigung. Viele Leute bringen Gretl Wolle und freuen sich auf ein Unikat. Für eine Mütze braucht sie einen Abend lang. „Da stricke ich jedenTag von acht Uhr bis halb eins und schau mir derweil drei Krimis an“, sagt sie lachend. Hier beim Handwerkskunstmarkt trifft man eben noch Leute, die mit Leidenschaft arbeiten. Noch vier Mal findet in diesem Jahr der Markt im Dorfzentrum von Going jeweils am Freitag statt, um 20.00 Uhr gibt die Blasmusik ein Konzert auf dem Platz und das Markttreiben klingt beschwingt dabei aus. Lebendig und gefragt ist der Handwerkskunstmarkt im Jubiläumsjahr wie nie zuvor. Die Menschen interessieren sich neuerdings wieder mehr für das, was früher war. Seit Trachten wieder in Mode sind, kommt Georg Leitner der Arbeit kaum noch hinterher. Sein Handwerk ist sehr begehrt. „Für 2014 bin ich praktisch schon ausgebucht“, sagt der Federkielsticker, der an seiner alten Lederhose einen über 200 Jahre alten, kunstvoll bestickten Ranzen, eine Art breiten Gürtel, trägt. Die Stickerei hat er von seinem Vater übernommen, der sie im Südtiroler Ahrntal einst gelernt hatte. Gute 100 Stunden braucht er für einen Ranzen. Und die Arbeit macht ihm offensichtlich viel Spaß, weil er sie auch ganz mit seinen privaten Leidenschaften verbinden kann. „Wenn das Wetter schlecht ist, dann arbeite ich. Und wenn die Sonne scheint, bin ich beim Klettern“, sagt er und grinst. Georg ist nicht der Einzige, der hier in Going mit seiner Arbeit offenbar sehr glücklich ist. 

 

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