Spirituell wandern

Ausblick von Kloster Drübeck - (c) Alexa Christ

Der Harzer Klosterwanderweg verbindet Natur- und Kulturgenuss. In kaum einer anderen Region Deutschlands findet sich eine derartig reiche Kirchen- und Klosterlandschaft. Unterwegs zu Orten von besonderer Kraft und einmaliger Architektur ...

„Ich bin der 36. Klosterimker in Folge“, sagt André Koppelin und öffnet behutsam einen seiner Bienenstöcke. Ein paar der Tiere fliegen hektisch auf, die meisten aber verharren unbeeindruckt auf der golden schimmernden Wabe. Koppelin deutet auf die bunt blühenden Reihen üppiger Kräuterpflanzen ringsum. 260 verschiedene Arten gedeihen im Klostergarten, ein Festmahl für seine Tiere. Und die sind echte Ausdauersportler. „Jede Biene hat einen Flugradius bis zu vier Kilometer. Wind und Wetter zum Trotz“, berichtet der Imker. „So stecken in einem 330g-Glas Honig bis zu 80 000 Flugkilometer!“ Eine Arbeitsmoral, an der die einstigen Zisterziensermönche des Klosters Michaelstein vermutlich nichts auszusetzen gehabt hätten. Vor gut 870 Jahren gründeten sie in einem Tal abseits von Blankenburg, am Rande des Nordharzes gelegen, ihre Abtei. Zu Hochzeiten lebten hier bis zu 80 Mönche – frei nach dem Motto „ora et labora“. Die gelobte Armut, die strenge Eigenwirtschaft und der Fleiß der Zisterzienser führten schon bald zu großem wirtschaftlichem Erfolg. Noch heute lässt es sich entspannt durch die ausgedehnte Klosteranlage wandeln – durch den frühgotischen Kreuzgang etwa, durch Kapitelsaal, Refektorium, Kalefaktorium oder Gartenanlagen. Weiß gekleideten Mönchen begegnet man freilich nicht mehr. „Die Reformation bedeutete das Ende der Zisterzienser in Michaelstein“, erzählt Gästeführer Ulrich-Christian Behnecke. „Heute ist das Kloster Sitz der Musikakademie Sachsen-Anhalt.“ Im West- und in Teilen des Nordflügels wurde eine interaktive Ausstellung samt Instrumentenmuseum eingerichtet. Wie von Geisterhand spielt dort auf Wunsch ein unbemanntes Barockorchester Bachs Weihnachtsoratorium. Ein Neubau weiter sorgt ein merkwürdig anmutendes Automaten-Ungetüm für erstaunte Gesichter. Der französische Ingenieur Salomon de Caus entwickelte 1615 eine Musikmaschine – von einem Wasserrad angetrieben und von Stiftwalzen gesteuert, schweben die verspielten Töne eines Madrigals aus dem 17. Jahrhundert durch die Luft. Hausmeister Manfred Schindler und zwei seiner Kollegen entwässern die Räder jeden Abend. „Damit die Maschine nicht eiert.“

Jedes Kloster setzt einen anderen Schwerpunkt
Klöster wie Michaelstein prägten über viele Jahrhunderte die kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung im Harz. In ungewöhnlicher Dichte sind sie hier zu finden. Wanderer und Pilger können sie seit 2016 über den 116 Kilometer langen Harzer Klosterwanderweg entdecken, der über die beiden Welterbestädte Goslar und Quedlinburg bis nach Halberstadt führt. Über zehn Kloster- und Dorfkirchen liegen entlang des Wegs, sowie ganze fünf Klöster reihen sich wie Perlen auf eine Schnur – und die haben alle ihren eigenen Charakter. Spielt in Michaelstein die Musik die erste Geige, so setzt die ehemalige Benediktinerabtei Ilsenburg stark auf Ausstellungen moderner Kunst. Im Kloster Wendhusen, ältestes ostdeutsches Kanonissenstift, kann man lernen, wie Robin Hood mit einem historischen Langbogen zu schießen, und am grünen Stadtrand von Goslar liegt das Barockkloster Wöltingerode, in dem man komfortabel nächtigen und die Feinbrände und Liköre der seit 1628 bestehenden Klosterbrennerei verkosten kann. Einzig das ehemalige Benediktinerinnenkloster Drübeck bei Wernigerode befindet sich heute wieder in kirchlicher Hand. Tagungszentrum, Pastoralkolleg und Pädagogisch-Theologisches Institut werden von der Evangelischen Kirche betrieben, die 1946 die Leitung übernahm. Bis dato war die Geschichte des Klosters durchaus bewegt. Reformation und Bauernkrieg bedeuteten für die Nonnen eine schwerwiegende Zäsur. Die Benediktinerinnen wurden vertrieben, ein Brand im Jahr 1599 sowie der 30-jährige Krieg verheerten das Anwesen. Ende des 17. Jahrhunderts gelangte das Kloster dann per kurfürstliches Edikt in den Besitz des Grafen zu Stolberg-Wernigerode, der erst mal umfangreich sanieren ließ. Danach errichtete der Graf ein Damenstift, dessen Spuren vor allem im Klostergarten sichtbar werden. So wächst im ehemaligen Äbtissinnengarten ein 300 Jahre alter „Eibendom“ in Kreuzform, der der Äbtissin zur Kontemplation gedient haben soll. Den Stiftsdamen standen kleinere, mauerumgrenzte Gärten mit schmucken Gartenhäuschen zur Verfügung. Ein Plan aus dem Jahr 1737 nahm das Landesamt für Denkmalpflege 2002 als Quelle zur Hand, um fünf dieser ehemaligen Kanonissengärten zu rekonstruieren. Seitdem bietet sich den Blicken der Besucher die strenge Symmetrie barocker Gartengestaltung dar. Keine Blume, kein Kraut, kein Baum sprießt aus der Erde. Ein akkurates Wegekreuz teilt den perfekt geschnittenen englischen Rasen in vier gleiche Teile. Ob man das schön findet, ist Geschmackssache. Der große Küchengarten auf der Bleichwiese voller Kräuter, Gemüse und Blumen wirkt jedenfalls wie ein wohltuender Kontrast – und duftet noch dazu toll.

Ein Kloster versteckt sich
Unzweifelhaft ist der landschaftliche Reiz des Klosterwanderwegs. Den Brocken stets im Blick, führen die sechs Etappen zwischen 10 und 20 Kilometern über die sanften Hügel des nördlichen Harzvorlandes, durch die romantischen Flusstäler von Oker, Ecker und Bode, vorbei an der bizarren Felsformation der Teufelsmauer, durch den Schimmerwald und entlang des Grünen Bands, der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Etliche Fischteiche säumen den Weg, in manchen schwimmen gelbe Seerosen. Neunzehn so genannte Engelsbänke wurden von dem Blankenburger Holzkünstler Werner Fleck gestaltet und entlang des Wegs aufgestellt. Wer darauf Platz nimmt, werde „beflügelt“, ist sich das Pfarrers-Ehepaar Lundbeck sicher, das die Idee zu den Engelsbänken hatte. Eine davon befindet sich an einem besonders spannenden Ort: Zwischen Drübeck und Wernigerode lag einst das Kloster Himmelpforte, das heute nicht mehr als eine Wüstung ist. Wenige, kümmerliche Grundmauerreste sind alles, was von dem einstigen Augustiner-Kloster übrig geblieben ist. Doch im Juli 2023 stehen plötzlich Dixie-Klos zwischen den Büschen am Wegrand, und aufgeregte Stimmen schallen von der freien Wiesenfläche herüber. Professor Dr. Felix Biermann vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt sowie die Stadt Wernigerode leiten eine einwöchige Ausgrabungskampagne. Gut 30 Personen schaufeln vorsichtig Mauerreste frei – und nicht nur das. „Ein kleiner Goldmünzschatz scheint hier während des Bauernkriegs hastig vergraben worden zu sein, den haben wir bereits gesichert“, benennt der Professor den außergewöhnlichsten Fund. Auch Sicheln, Buchschlösser, Schreibgriffel oder Schwertknäufe gibt das Erdreich frei. 1253 wurde das Kloster von Bettelmönchen gegründet, 1516 besuchte Martin Luther es, im Bauernkrieg 1525 wurde es gestürmt und geplündert. Nach der Reformation verfiel der Gebäudekomplex völlig. „Wir können schon mit dieser kurzen Ausgrabung sagen, dass Himmelpforte ein typisches Kloster nach benediktinischer Bauart war“, erklärt Professor Biermann. Am Ende der Woche wird alles, was freigelegt wurde, wieder zugeschüttet – um die Artefakte zu schützen. Aber: Der Professor will wiederkommen. Wann genau, ist noch nicht ganz klar, aber es soll eine großflächige Grabung geben, die das Geheimnis des verschollenen Klosters endgültig löst. Spätestens dann ist der Harzer Klosterwanderweg um eine weitere Attraktion reicher.

Gut zu wissen (Informationen)
Ausgezeichnet regional!
Mehr als 650 Produkte von über 60 Produzenten: Der Harz ist reich an hochwertigen Erzeugnissen, kulinarischen Spezialitäten und traditionellem Handwerk. Immer mehr sind mit der Regionalmarke "Typisch Harz" ausgezeichnet. Dabei ist die Qualität des Produktes das Hauptkriterium – frei nach dem Grundsatz „Klasse statt Masse“. Zu finden sind Erzeugnisse aus den Bereichen Senf & Öl, Fisch, Tierzucht, Fleisch & Wurst, Honig& Aufstriche, Backwaren & Süßes, Brennen & Brauen, Wild, Gastronomie und Kunsthandwerk. Sogar touristische Angebote können mit dem Label zertifiziert werden, wenn sie mit einem der Produkte im Zusammenhang stehen. Alle Produkte unter: www.harzinfo.de/erlebnisse/regionalmarke-typisch-harz

Stempelfieber im Harz
Die „Harzer Wandernadel“ führt zu attraktiven Zielen der gesamten Region in drei Bundesländern und fünf Landkreisen. Dabei gilt es, Touristenmagneten genauso zu erkunden wie als Geheimtipp geltende Kleinode. Insgesamt sind es 222 Stempelstellen auf rund 8000 Kilometern ausgeschilderten Wanderwegen des Harzes. In dieser Größenordnung ist das einmalig in Deutschland. Wer tatsächlich alle 222 Stempelstellen erwandert, darf sich mit dem Titel „Harzer Wanderkaiser“ schmücken. Aber auch Harzer „Wanderkönige“, „Wanderprinzessinnen“ und „Wanderprinzen“ werden gekürt. Für den Harzer Klosterwanderweg gibt es ein eigenes Stempelheft mit 13 Stellen. Info: www.harzer-wandernadel.de

Harzer Klosterwanderweg
Seit 2016 gibt es den zunächst 95 km langen Weg von Goslar nach Quedlinburg. Seit 2024 ist der Weg um eine Etappe erweitert worden und führt nun bis nach Halberstadt. Eingeteilt ist der nun insgesamt 116 km lange Weg in 7 Etappen zwischen 10 und 22 km Länge. Alle Infos inklusive Etappenbeschreibungen und Kartenmaterial findet man auf: www.harzinfo.de

Über den Autor*Innen

Alexa Christ

Alexa Christ

Alexa Christ ist freie Journalistin, Moderatorin und Sprecherin. Schon früh hat sie sich mit dem Reisevirus infiziert und sich auf in die Welt gemacht. Beim Wandern liebt sie es, ungewöhnliche Geschichten und Menschen entlang der Wege aufzuspüren und von ihnen zu berichten. Sie ist viel in den Alpen unterwegs, hat aber auch Schwerpunkte in Großbritannien, wo sie eine Weile als Wanderreiseleiterin tätig war, und in Nordamerika, sowie in allen Regionen, die guten Wein anbauen. 2020 ist sie selbst von Köln an die Nahe gezogen.